Lese- oder Serienfutter: The Leftovers

Selten in meinem Leben habe ich derart gespannt ein Buch in die Hände genommen. Bereits seit ich in Amerika die Trailer zur TV-Umsetzung von „The Leftovers“ sah, war mir klar: das musst du sehen!

Die Serie ließ hier leider lange auf sich warten; tatsächlich dauerte es eine gefühlte Ewigkeit bis die DVDs erhältlich waren und letztlich fanden sie dann auch erst vor kurzem (kennt ihr das? Erst ewig drauf gewartet – ich meine wirklich ewig – und dann doch am Ende fast vergessen?) den Weg in unser Wohnzimmer.

Also griff ich zur Überbrückung der Wartezeit und mit hohen Erwartungen zur Buchvorlage (im Deutschen: „Die Verlassenen“).
Und vielleicht lag genau darin mein Fehler: die hohen Erwartungen… Denn die wurden trotz perfekter Grundvorraussetzungen mehr als nur bitterlich enttäuscht.

Kurz zusammen gefasst und auf den Punkt gebracht geht es in „The Leftovers“ um ein rätselhaftes, die Entrückung benanntes, Ereignis am 14. Oktober. An diesem Tag verschwanden 2% der Weltbevölkerung von einer Sekunde auf die andere spurlos.
Völlig wahllos, niemand weiß wohin und vor allem kann keiner dieses plötzliche Verschwinden erklären. Die Zurückgebliebenen stehen nun vor dem Scherbenhaufen ihrer ehemaligen Existenz. Denn eigentlich hat sich ja nichts verändert; das Leben könnte weiterlaufen wie bisher. Nur fehlen all diese Menschen. Und abgesehen von Trauer und Entsetzen lähmt die Verlassenen vor allem eins: die Frage nach dem, was als nächstes passiert.

So weit so gut. Eigentlich das perfekte Was-wäre-wenn-Szenario für ein menschliches Drama vor beklemmenden Ereignissen, die das Weltbild auf den Kopf stellen. Die Bildung verschiedener Sekten, mit verschiedenen Erklärungsversuchen für die Ereignisse, die Angst und Gelähmtheit der Menschen, die Trauer und die vermeintliche Perspektivlosigkeit…
All das könnte eine sehr interessante und spannende Mischung ergeben.

Aber leider nur könnte. Denn unglücklicherweise verfehlt der Roman völlig seine Wirkung, indem er die Faszination die anfangs von der Entrückung und den damit einhergehenden Ereignissen einhergeht, nach kürzester Zeit ad acta legt.
Genau, ihr habt richtig gelesen. Dieses Buch fängt verdammt stark an. Nur spielt das unerklärliche Verschwinden all dieser Menschen bereits nach einigen wenigen Seiten überhaupt keine Rolle mehr!
Gut, nun hätte sich ja noch ein menschliches Drama rund um die Zurückgebliebenen entspinnen können. Aber auch das ist nicht der Fall. Unglücklicherweise wählt der Autor als Protagonisten ausgerechnet eine Familie, die von der Entrückung komplett verschont blieb. Nun, die Ehefrau und Mutter begibt sich zwar in eine Sekte, die sich der Schuldige Rest nennt, aber würde man diese durch eine andere bekannte Sekte ersetzten, hätte man wahrlich nicht dieses absolut interessante Szenario schaffen müssen. Nur um es anschließend überhaupt nicht zu nutzen…

Noch dazu gelingt es Tom Perrotta leider nicht, nachvollziehbare, sympathische oder interessante Charaktere zu schaffen. Es gibt ein paar Szenen, die als Ausnahme hervorstechen (eine Mutter, die ihre komplette Familie verloren hat und durch das Schauen alter Serien versucht die Erinnerungen, die sie damit an ihre Kinder verbindet, zu erhalten), aber das Meiste bleibt ziemlich belanglos. Die Errektionsprobleme von Kevin Garvey (dem Vater der Familie) erscheinen einem irgendwann noch als dringendstes Problem bei all dem…
Noch dazu überwindet er diese dann ausgerechnet während einem der zahlreichen – einen wirren Eindruck hinterlassenden – Zeitsprünge. Nachdem ich schon „mitgelitten“ habe, war dass dann der Gipfel des Ganzen.
Von all den sexuellen Erkenntnissen der jungen Tochter mal abgesehen… die waren mindestens genauso wenig interessant.

Das traurige Ende von diesem Lied ist dann leider auch noch ein mehr als nur offenes Ende, dass es dabei aber schafft alle nur denkbaren Klischees zu vereinen (ich sage nur so viel: ein neugeborenes Findelkind vor der Tür)… Ein Ende, dass auch einen dieser über das ganze Buch verteilten Zeitsprünge hätte einleiten können. Nur, dass dann keine Seiten mehr übrig sind. Worüber man einerseits glatt froh ist, andererseits wird man als Leser beinahe wütend zurückgelassen.
Versteht mich nicht falsch, ich habe nichts gegen offene Enden. Auch nichts gegen Raum für Interpretationen und eigene Gedanken. Ich habe nicht mal erwartet eine Erklärung für die Entrückung geliefert zu bekommen. Nein, dafür reichten mir eigentlich die (leider viel zu spärlich!) gesäten Erklärungen und Ansichten der verschiedenen Sekten und Gruppierungen (die am Anfang des Buches Neugierde schufen).

Aber dieses Buch macht leider rein gar nichts aus seinen Möglichkeiten.

Meine Begeisterung für diesen Stoff war also erst mal dahin; die Serie behielt ich zwar noch im Auge, aber letztlich brannte ich nicht mehr darauf sie zu sehen. Ich fing erst wieder an mich dafür zu interessieren, als mir vor kurzem die interessanten Serien ausgingen (nach „Better Call Saul“) und es bis zum Erscheinen von Nachschub (der nächsten Staffeln von „Game of Thrones“ und „True Detektive“) auch noch etwas dauerte.

Da erinnerte ich mich an „The Leftovers“ und zwischenzeitlich waren auch die DVDs erschienen. Kurzer Hand entschied ich mich dafür und ich muss sagen: ich wurde nicht enttäuscht.
Gerade bin ich noch nicht mit allen Folgen durch – es wird allerdings auch noch eine zweite Staffel geben – und kann daher keine abschließende Empfehlung für die Serie geben, aber: sie macht verdammt viel richtig! Vor allem vieles, was ich mir im Buch gewünscht hätte, wird hier endlich entsprechend umgesetzt. Ob es nun hier eine Erklärung für das Verschwinden all dieser Menschen geben wird oder nicht wird sich zeigen; die Serie geht aber inhaltlich bisher an den genau richtigen Stellen eigene Wege und driftet auch ein wenig in eine andere Richtung. Wobei sie sich gleichzeitig wesentlich mehr und nachvollziehbar (teilweise auch wirklich berührend) mit den Charakteren auseinandersetzt. Selbst die unsympathischen Charaktere bekommen nun Hintergrundgeschichten und ihre Beweggründe werden, wenn schon nicht immer verständlich, zumindest nachvollziehbar.
Es erscheint beim Schauen fast ein wenig, als wäre der Stoff von vornherein besser für eine Serienumsetzung geeignet gewesen.
Dafür spricht neben der besseren Umsetzung der Geschichte (an der übrigens der Autor selbst beteiligt war) auch die Machart der Serie. Ich empfinde vor allem die Wahl der Musik als sehr passend und stimmungsvoll. Gerade das „Main Theme“ – ein Klavierstück – ist sehr eingängig und passt schlicht und ergreifend wie die Faust aufs Auge in viele Szenen.

So entsteht eine wirklich sehr beklemmende Serie, die all die Facetten der Trauer, der Kämpfe und Schuldgefühle der Zurückgebliebenen sehr vielschichtig zeigt und eine alternative Realität erschafft, die mit all ihren fantastischen (religiösen) Gruppierungen, ihren charismatischen Anführern und deren extrem Auswirkungen, Betroffenen und den nicht Betroffenen – die verzweifelt versuchen irgendwie ein normales Leben in Mitten all der Ungewissheit aufrechtzuerhalten – wohl erschreckend realistisch ist. „The Leftovers“ setzt sich damit auseinander, wie die unterschiedlichsten Persönlichkeiten mit einem Ereignis umgehen, für das niemand eine Erklärung hat – und es vielleicht auch nie geben wird.

Letztlich kann ich das Buch also nicht als lesenswert bezeichnen – während ich die Serie jedem, der auf der Suche nach einer sehr dicht erzählten, ernsten Geschichte zum Nachdenken ist, wirklich ans Herz legen kann!